Susanne K. Langer: Denken in neuer Tonart

Christian Grüny (Witten/Herdecke)

1.

Im Jahr 1942 erschien Philosophy in a New Key, das dritte Buch der amerikanischen Philosophin Susanne K. Langer (1895-1985). Es wurde ein regelrechter Bestseller und machte seine Autorin, die vorher primär als Logikerin hervorgetreten war, mit einem Schlag zu einer bekannten Philosophin. 1965 wurde das Buch als ihr bisher einziges ins Deutsche übersetzt und war auch hier recht erfolgreich. Es wurde 1980 noch einmal aufgelegt und ist seit langem vergriffen. Der Erfolg des Buchs hallt als vage Assoziation nach, aber mehr als eine solche Assoziation löst der Name bei den meisten heute nicht mehr aus; bestenfalls ist ihre zentrale Unterscheidung zwischen diskursiven und präsentativen Symbolen präsent, ohne dass man genau angeben könnte, was damit gemeint ist und was der Kontext der Unterscheidung ist. Die Sekundärliteratur ist schmal; auf Deutsch sind bisher nur zwei Monographien zu Langer erschienen.[1] Einzig im Kontext der Diskussion um Musik und Gefühl ist sie präsent, wenn auch als eine zwar erwähnenswerte, aber in der Regel schnell verabschiedete Position.[2]

Diese Situation ist einigermaßen beklagenswert. Langer gehört von der Originalität ihres Denkens und der Spannweite ihrer theoretischen Interessen sicherlich zu den wichtigen Philosophen des 20. Jahrhunderts. Ihre Symbolphilosophie ist insofern bemerkenswert, als sie explizit die Kunst als Orientierungspunkt wählt, ihre Kunstphilosophie und die späte, biologisch fundierte Theorie des menschlichen Geistes zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich en détail auf den Stand und die Diskussionen der jeweiligen Bereiche, Wissenschaften wie Künste, einlassen. Ernst Cassirer kann hier und in vielerlei anderer Hinsicht als Vorbild gelten, die zentrale Rolle aber, die sie der Kunst einräumt, trennt sie von ihm.[3]

Es steht zu hoffen, dass sich an dieser Situation durch die Publikation der deutschen Übersetzung von Feeling and Form, Langers kunstphilosophischem Hauptwerk von 1953 etwas ändert – es erscheint fast zeitgleich mit dieser Ausgabe des Journal Phänomenologie unter dem Titel Fühlen und Form in der Philosophischen Bibliothek des Felix Meiner-Verlages. Um das Erscheinen dieses auch im Original seit langem vergriffenen Werkes zu begleiten, widmet sich dieses Heft der Philosophin Susanne K. Langer. Dass dabei ihre Kunstphilosophie in fast allen Beiträgen im Zentrum steht, ist nicht nur diesem Umstand, sondern auch der Tatsache geschuldet, dass sie den Angelpunkt für Langers Denken insgesamt bildet.

All das macht es offensichtlich, dass es einer ausführlicheren Einleitung in Langers Philosophie bedarf. Nun schlägt sich dies auch in den Texten dieses Heftes nieder, die sich ebenfalls nicht darauf verlassen, dass die Leser mit den zentralen Begriffen vertraut sind, und sie daher noch einmal explizieren. Ich möchte mich hier auf einen Abriss von Langers Denkweg beschränken, in dessen Rahmen bestimmte zentrale Motive kurz erläutert werden. Im Zusammenhang mit der Entwicklung von The Practice of Philosophy von 1930 bis zu Philosophy in a New Key von 1942 wird es vor allem um Form und Symbol gehen (2.), beim Weg von Feeling and Form von 1953 zum ersten Band von Mind (1967) vor allem um den hochgradig missverständlichen Begriff des »Fühlens« (3.). Abschließend werde ich auf die einzelnen Beiträge dieses Hefts eingehen (4.).

2.

Rolf Lachmann unterteilt die philosophische Entwicklung Langers in drei Phasen, von der symbolischen Logik über den neuen Symbolbegriff und die Philosophie der Kunst bis zu einer Begründung der Wissenschaften vom Menschen.[4] Dabei herrscht vor allem zwischen der zweiten und der dritten dieser Phasen weitgehende Kontinuität, und selbst die Veränderungen zwischen der ersten und der zweiten Phase, die Langer selbst später als entscheidend verstanden hat, sind Verschiebungen und Erweiterungen, aber sicher kein Bruch.

Der wichtigste akademische Lehrer der Studentin Langer war der Logiker Henry M. Sheffer, der Betreuer ihrer Dissertation Alfred N. Whitehead, und beide haben ihr Denken nachhaltig geprägt. Die ersten Arbeiten Langers standen aber ganz im Zeichen Sheffers und damit der symbolischen bzw. mathematischen Logik, wenn auch in einem denkbar weiten Verständnis. Ihrer Introduction to Symbolic Logic von 1937, einer auch heute noch brauch- und lieferbaren Einführung, war mit The Practice of Philosophy 1930 ein Buch vorausgegangen, in dem sich bereits zahlreiche Motive finden, die ihr späteres Denken prägen sollten. Die Veränderungen, die zwischen diesem Buch und dem zwölf Jahre später erschienenen Philosophy in a New Key liegen, betreffen den systematischen Kontext, in dem diese Motive stehen, und ein verändertes Verständnis von Symbolisierung.

Wenn es im frühen Buch heißt, dass die Methode der Philosophie die logische Analyse sei, so scheint dies auf den ersten Blick in Richtung eines logizistischen Reduktionismus zu weisen. Aber das trifft die Sache von Anfang an nur sehr bedingt. Der Gegenstand der Philosophie ist für Langer Bedeutung in all ihren Schattierungen, also weniger die Welt als unser Sprechen über sie, und das Ziel der Analyse ist es nicht, diese Sprechweisen auf einige wenige oder gar eine einzige zu reduzieren, sondern sie verständlich zu machen und im Hinblick auf ihre Implikationen zu betrachten – »unsere Ideen zu klären«, wie es in Feeling and Form, Peirce zitierend, heißt.[5] Es wäre eine Anmaßung der Philosophie, Sprechweisen als solche als legitim oder illegitim zu kritisieren; was Langer ihr aber durchaus zutraut, ist eine genaue Analyse von Grundbegriffen und ihren Zusammenhängen, auf deren Grundlage korrigierend eingegriffen werden kann.

Dabei ist der Logikbegriff, den sie anlegt, bereits hier denkbar weit: »Logic is the science of forms as such, the study of patterns[6] Zuerst einmal ist damit natürlich auf die Struktur logischer Aussagen angespielt, Prädikationen, Bedingungsverhältnisse etc.; gemeint ist aber Form im weitesten Sinne, die auch geometrische Formen, visuelle Gestalten, musikalische Formen einschließt, die allesamt auf Bedeutung bezogen bleiben. Form ist dabei bestimmt als innere Relation innerhalb eines Ganzen: »the form of the thing is the way its parts are put together[7] Vielleicht kann man sagen, dass das Band, das diesen Formbegriff zusammenhält, in einer gewissen Anschaulichkeit liegt, in der diese Relationen gegeben sind. Von der Form als visueller oder auditiver Gestalt, wo dies offensichtlich gilt, bis zu Wittgensteins schwierigem Begriff der logischen Form als Bild (nicht einmal »image«, sondern »picture«)[8] durchzieht die Vorstellung eines anschauenden, analogisch funktionierenden Denkens das ganze Feld dieses Begriffs von Form.

Die Figur der Analogie ist und bleibt auch später zentral für diesen Symbolbegriff: »Such formal analogy, or congruence of logical structures, is the prime requisite for the relation between a symbol and whatever it is to mean.«[9] Es scheint so (und die wiederholte Bezugnahme auf Wittgensteins eigentümliche Bildtheorie im Tractatus scheint es zu bestätigen), als vertrete Langer eine Art erweiterter Abbildtheorie der Bedeutung, die von einem realen Vorhandensein logischer Formen in der Welt ausgeht, die in Symbolen lediglich nachgezeichnet werden. Tatsächlich ist das nicht der Fall, und das Verhältnis zwischen Symbol und Bedeutung ist komplexer, denn »there is no such things [sic] as the form of a real thing, or of an event«[10]. Form, so könnte man sagen, findet statt innerhalb von Symbolisierungsbeziehungen und liegt nicht einfach vor. Wenn also weiterhin von mehr oder weniger angemessenen Symbolisierungen gesprochen werden soll, so muss klar sein, dass es davon nicht nur eine einzige, sondern mehrere gibt, die unter Umständen sehr unterschiedliche Formen annehmen. Bereits hier gilt also: Symbole erschließen Wirklichkeit, indem sie vermittels ihrer inneren Struktur deren Form darstellen. Gegeben ist die Form aber erst in der Symbolisierung, die hier nicht Benennung, sondern Beschreibung, Interpretation oder eben Darstellung von Wirklichkeit ist.

Im Kapitel zu »insight« findet sich ein Satz, der die Brücke zum späteren, noch einmal erweiterten und umakzentuierten Verständnis von Symbol bildet: »The possibility of dealing precisely and intelligibly with the highest rather than the lowest forms of meaning is to me the crucible, the fire-test of such a theory.«[11] Für eine Logikerin ist dies eine bemerkenswerte Aussage, und sie führt direkt zu Philosophy in a New Key, das der Kunst den entsprechenden Platz einräumt. Innerhalb des Kollektivsingulars der Kunst wird dort mit dem gleichen Argument einer bestimmten Kunstform noch einmal ein besonderer Stellenwert zugebilligt, nämlich der Musik: »[E]ine adäquate, präzise Definition für das, was ›musikalische Bedeutung‹ ist, geben zu können, und zwar eine Definition in Hinblick auf künstlerische, nicht positivistische Zusammenhänge und in solcher Absicht, das wäre der Prüfstein für eine wirklich leistungsfähige Philosophie des Symbolismus.«[12] Dieser Devise folgend widmet das Buch zwei seiner zehn Kapitel der Musik und sticht damit in mehrfacher Hinsicht deutlich heraus: Nicht nur ist es für einen symboltheoretischen oder semiotischen Text höchst ungewöhnlich, die Kunst auf diese Weise in den Mittelpunkt zu stellen; eine derart intensive Beschäftigung mit der Musik findet sich im 20. Jahrhundert in der Regel nicht einmal in großen Entwürfen zur Ästhetik. Dies spiegelt sich auch in einer Vielzahl musikalischer Metaphern und nicht zuletzt auch im Titel des Buches wieder: Philosophy in a New Key ist Philosophie in einer neuen Tonart, also in einer neuen inneren Organisationsform, durch die sich die Bedeutung jedes einzelnen Begriffs verändert. Die deutsche Übersetzung Philosophie auf neuem Wege lässt diese Bedeutung vollständig fallen.

Der Punkt, der in der Rezeption des Buches in den Mittelpunkt gestellt worden ist und tatsächlich zentral ist, ist, wie gesagt, die Unterscheidung von diskursiven und präsentativen Symbolen.[13] Da sie vor allem in den Texten von Robert Innis und Rolf Lachmann eingehender erörtert wird, werde ich mich hier auf wenige Bemerkungen beschränken. Der Unterschied dieser beiden Symbolisierungsformen kann wiederum als einer der Form beschrieben werden: Während ein diskursiver Symbolismus aus reproduzierbaren und rekombinierbaren Elementen besteht, ist dies bei präsentativen Symbolen nicht der Fall. Langers Beispiel für präsentative Symbolisierung ist zuerst einmal das Bild und überraschenderweise nicht die Musik; nehmen wir aber Sprache und Musik als paradigmatisch für die beiden Typen von Symbolen, so kann an diesen Beispielen einiges klargemacht werden. Dabei muss aber klar sein, dass es nicht allein die Kunst oder besser: die Künste sind, in denen sich präsentative Symbole finden; Diagramme aller Art gehören ebenso dazu. Am prägnantesten und systematischsten ist die Sache aber tatsächlich in den Künsten entwickelt.

Anders als im Falle von Bildern scheint die Musik sehr wohl aus Elementen zu bestehen, die nach Regeln strukturiert sind, und es ist nicht zuletzt diese Eigenschaft, die zu den zahlreichen Versuchen des direkten Vergleichs von Sprache und Musik geführt hat. Genauer betrachtet gibt es aber fundamentale Unterschiede: Zuerst einmal ist nicht der einzelne Ton, sondern das spezifische Verhältnis zwischen den Tönen, das Intervall, die kleinste Einheit der Musik; außerdem lassen sich keine Kombinationsregeln angeben, nach denen den Sätzen vergleichbare Phrasen mit spezifischer Bedeutung generiert werden könnten. Die Töne eines Stücks und selbst einer einfachen Melodie bestimmen und stützen sich auf eine Weise gegenseitig, dass von Elementen letztlich gar nicht gesprochen werden kann. Das führt zum nächsten, zentralen Punkt. Es ist offensichtlich, dass hier nicht eine Symbolordnung, in der es um die konkrete Form geht, einer gegenübergestellt werden soll, in der diese Form belanglos oder arbiträr ist; stattdessen geht es um die unterschiedliche Rolle, die die Form jeweils annimmt. Wenn man die Vorstellung einer logischen Form der Sprache mitmacht, geht es bei ihr dennoch nicht um die Präsentation einer konkreten Konstellation, sondern um die Benennung einer allgemeinen Struktur. Dagegen ist »[d]er nichtdiskursive Symbolmodus […] zuerst und hauptsächlich die unmittelbare Präsentation eines Einzeldings«[14]. Ein präsentatives Symbol sagt nicht etwas über etwas, sondern zeigt etwas in seiner spezifischen Gestalt. Bedeutsam ist diese Gestalt, weil sie in irgendeiner Weise als exemplarisch erscheint, ohne allgemein zu sein. Das Besondere als Exemplarisches darzustellen, das ist es, was nach Langer die Kunst ausmacht.

Während sie in Philosophy in a New Key noch von diskursiven und präsentativen Symbolismen spricht, ist Langer in späteren Texten hier vorsichtiger geworden. Ein Symbolismus wäre ein Symbolsystem, ein entwickeltes Gefüge identifizierbarer Elemente und benennbarer Kombinationsregeln – also genau das, was den diskursiven Symboltyp ausmacht. Man müsste dann sagen, dass die Kunst Symbole produziert, ohne eines Symbolismus zu bedürfen. Langer nennt das Musikstück ein »unvollendetes Symbol, eine sinnhaltige Form ohne konventionellen Sinngehalt«[15], und diese vorsichtigere Formulierung bereitet bereits den eigenartig schwankenden und halbherzigen Rückzug vor, den sie später in Reaktion auf verschiedene Kritiker vollzogen hat. In Problems of Art von 1957 heißt es, das Kunstwerk sei »more like a symbolic function than like anything else«, »yet not exactly so«[16], in Philosophical Sketches von 1962 werden Kunstwerke als »quasi-symbols«[17] bezeichnet. Trotz dieser Rückzugsgesten ist sie von ihrer zentralen Einsicht nicht wirklich abgewichen, und die vielleicht treffendste Formulierung findet sich noch einmal fünf Jahre später im ersten Band von Mind, wo Kunstwerke als »forever problematical«[18] bezeichnet werden. Problematisch sind sie, weil sie offensichtlich bedeutsam sind, ohne dass Regeln für ihre Produktion oder Auffassung und Interpretation angegeben werden könnten.

Diese produktive Erweiterung des Symbolbegriffs hängt zusammen mit einer deutlichen Aufwertung symbolischer Formen in unserem Zugang zur Welt, die von Ernst Cassirer und der Gestalttheorie inspiriert ist. Cassirer taucht am Rande bereits in The Practice of Philosophy auf und rückt allmählich immer mehr in den Mittelpunkt; Feeling and Form ist ihm gewidmet. Langers Symbolbegriff ist seit Philosophy in a New Key offensichtlich von Cassirer her gedacht; er ist das entscheidende Analyseinstrument für die Untersuchung von Mythos, Ritual, Sprache und Kunst. Langer hatte die Philosophie der symbolischen Formen früh gelesen, lange bevor sie ins Englische übersetzt wurde.[19] 1941 hatte sie Cassirer auch persönlich kennengelernt und in der Folge sein Sprache und Mythos übersetzt; bis heute wird sie als Vermittlerin Cassirers in den amerikanischen Diskurs wahrgenommen. Man könnte sagen, dass ihre Aufwertung der Kunst damit zusammenhängt, dass sie Cassirers Motiv der »symbolischen Prägnanz« in die andere Richtung akzentuiert als dieser selbst (ohne dass sie explizit darauf Bezug nehmen würde). Wenn er davon spricht, dass in der Prägnanz »die Wahrnehmung selbst […] kraft ihrer eigenen immanenten Gliederung eine Art von geistiger ›Artikulation‹ gewinnt«[20], so ist es doch nicht die innere Gliederung selbst, die im Fokus steht, sondern die »geistige« Artikulation, was sich hier vor allem auf die systematische Einbettung des so Gegliederten bezieht. Was wie eine Erläuterung zu Langers präsentativen Symbolen erscheint, wird von Cassirer eher in Richtung der Modellierung auch der Wahrnehmung als diakritisches System nach dem Vorbild der Sprache entwickelt.

Bei Langer kommt an dieser Stelle der Einfluss der Gestalttheorie deutlich zum Tragen, wenn sie zwar Wahrnehmung und Symbolisierung ähnlich eng anei\-nander koppelt, dabei aber den Fokus neben dem systematischen Zusammenhang vor allem auf die innere Struktur legt. Wahrnehmung ist für sie ein Prozess der »Formulierung«, ein Objekt eine »gedeutete Form«, denn »unser Verständnis der sichtbaren Welt beginnt im Auge«[21]. Irritierenderweise bezeichnet sie bereits diese elementare Formulierung als »Abstraktion«. Zu erklären ist dies vermutlich mit ihrem Begriff von Form, der, wie gezeigt, ursprünglich aus der Logik stammt und von dort aus in Richtung des Wahrgenommenen verallgemeinert wurde. Im ersten Band von Mind unterscheidet Langer »generalizing« und »presentational abstraction«, wobei erstere der Wissenschaft (und der Logik) und letztere der Kunst zugeordnet wird.[22] Insofern die Kunst Formen produziert, die als Symbole fungieren, abstrahiert sie von der Vielfalt des sinnlich Gegebenen. Aber dieses selbst und seine Formulierung kann für Langer nicht unabhängig von den verschiedenen Symbolisierungen gedacht werden, mit denen auf es zugegriffen wird: »no formulation without symbolic projection«[23]. Dennoch erscheint die Rückübertragung des Abstraktionsbegriffs auf den Formulierungsprozess selbst nicht besonders glücklich – ohne den Widerpart des Konkreten verliert die Rede von Abstraktion ihre Kontur. Die elementaren Formen, in denen uns die Welt in der Wahrnehmung gegenübertritt, sind das erste Konkrete, aber sie sind nicht unabhängig von den Formgebungsprozessen der verschiedenen Weisen der Symbolisierung zu denken. Das hat Langer von Cassirer gelernt. Besser als von Abstraktion wäre in diesem Zusammenhang von Allgemeinheit zu sprechen: Insofern Symbolisierungen die Wahrnehmung prägen, sind deren Formen nicht einfach besondere, auf die symbolisch abstrahierend zugegriffen werden muss, sondern selbst schon von Verallgemeinerung durchzogen.

In jedem Fall ist die sprachliche Benennung und Beschreibung hier eine Symbolisierungsform unter anderen und nicht unbedingt die angemessenste Weise, die Wahrnehmung zu artikulieren. Hier setzt Langer auf die Kunst, was uns zur Weiterentwicklung der Theorie in Feeling and Form, das sich ganz der Kunst bzw. den einzelnen künstlerischen Disziplinen zuwendet, und im dreibändigen Mind bringt, das eine großangelegte Theorie des menschlichen Geistes entfaltet.

3.

Feeling and Form stellt in Langers Werk einen Angelpunkt dar: Man kann sagen, dass Philosophy in a New Key auf dieses Buch vor- und Mind auf es zurückblickt. Am Ende der drei einleitenden Kapitel des Buches, mit denen sein theoretischer Rahmen abgesteckt wird, gibt Langer eine Definition der Kunst, die sie selbst als tentativ bezeichnet, die aber die Basis nicht nur für den Rest des Buches, sondern auch für die Theorie des menschlichen Geistes in Mind bildet: »Art is the creation of forms symbolic of human feeling.«[24] Es ist nicht zu verkennen, dass dieser Satz extrem voraussetzungsreich ist. Weder »Form« noch »Symbol« verstehen sich von selbst, und auch »feeling« ist nur scheinbar klar. Diese drei Begriffe zu einer denkbar grundsätzlichen und weitreichenden These über das Wesen der Kunst zu verknüpfen, wird unweigerlich Irritation und Widerspruch provozieren, der auch nicht ausgeblieben ist.

Mir scheint es unabweisbar, dass Langer zu hoch zielt, wenn sie alle Kunst auf die symbolische Darstellung von »feeling« verpflichten will; nicht zuletzt ist der konzeptuellen Dimension, die in der Gegenwartskunst höchst prominent geworden ist, damit kaum angemessen Rechnung zu tragen. Einmal mehr zeigt sich die zentrale Stellung der Musik, von der die These offensichtlich abgeleitet ist. Dennoch: Zuerst einmal und vor allem ist sie explikationsbedürftig, und es wird sich zeigen, dass man sie in dem sehr weiten Verständnis, in dem sie gemeint ist, durchaus produktiv vertreten kann. Im Zentrum dieser Explikation steht der Begriff des »feeling«, anhand dessen die letzten beiden Werke Langers aufgeschlossen werden können.

Zuerst einmal erscheint es naheliegend, den Begriff mit »Gefühl« zu übersetzen – aber tatsächlich wäre das ziemlich irreführend. Langer sagt deutlich, dass es für sie auf den verbalen Charakter des Wortes ankommt, denn: »To feel is to do something, not to have something […].«[25] Entsprechend wäre »Fühlen« besser, womit überdies durch das wenig eingängige Verbalsubstantiv vorab ein gewisser Abstand zur zeitgenössischen Diskussion über Gefühle und Emotionen eingezogen wird. Tatsächlich ist Langers Begriff des Fühlens weit vom traditionellen Verständnis entfernt. In Philosophie auf neuem Wege ist davon die Rede, »daß Gefühle bestimmt umrissene Formen haben, die in fortschreitender Artikulation begriffen sind«[26], und dass Rationalität nicht als kleine Insel letztlich sprachgebundener Klarheit inmitten eines Meers diffusen Erlebens gedacht werden kann. Damit kommt sie der gegenwärtigen Emotionsforschung entgegen.[27]

Interessant ist dabei allerdings, dass sie dabei an keiner Stelle die spezifische Intentionalität oder allgemeiner Weltbezogenheit von Gefühlen im Blick hat, die in den vergangenen Jahren in den Fokus gerückt ist,[28] und auch nicht den Wertungscharakter, der damit verbunden ist. Ebenso wenig geht es ihr um das, was der Psychoanalytiker und Entwicklungspsychologe Daniel Stern, der sich explizit auf Langer bezogen hat, »kategoriale Affekte«[29] nennt, also Freude, Trauer, Wut etc., zumindest nicht in ihrer kategorialen Bestimmtheit. Stattdessen betrachtet sie die konkreten Verlaufsformen, ihre »tatsächliche Bewegung […], ihr[en] Lauf, ihre Ausbalancierung«, ihre »Morphologie«[30], also eben ihre zeitliche Artikulation. Dies ist es, was durch die Kunst, und hier insbesondere durch die Musik, symbolisch dargestellt werden kann.

Auch wenn das Fühlen noch als (scheinbarer) Gegensatz zum rationalen Denken eingeführt worden ist, ist doch bereits hier erkennbar, dass der Begriff weit mehr abdecken soll als Gefühle im traditionellen Sinne, nämlich die Dynamik innerer Erfahrung überhaupt. Eine ausführlichere Explikation findet sich allerdings erst später, und auch nicht in dem Buch, das den Begriff im Titel trägt, sondern erst in einem kürzeren Text und schließlich ausführlich in Mind. Um die Spannweite dessen zu sehen, was damit bezeichnet werden soll, muss man sich nur Titel und Untertitel dieses Buches ansehen: Eine großangelegte Untersuchung des Geistes läuft danach auf nichts anderes hinaus, als einen Essay On Human Feeling zu schreiben. Das Buch unternimmt eine Theorie des menschlichen Geistes, die diesen in seiner Genese zu rekonstruieren versucht und dabei ausdrücklich nicht reduktionistisch-biologistisch vorgeht. Das Fühlen ist hier die elementarste psychische Tatsache, der Moment, an dem ein biologischer Prozess eine Dimension von Erfahrung bekommt. Langer versteht dies nicht als Hinzutreten einer neuen Entität namens Bewusstsein, sondern als Übergang in einen neuen Modus: »[B]eing felt is a phase of the process itself. A phase is a mode of appearance, not an added factor.«[31]

Dieses Gewahrsein, wie man vielleicht vorsichtiger formulieren könnte, wird nun als die ursprüngliche Matrix verstanden, aus der sich Gefühle, Wahrnehmungen und Gedanken ausdifferenzieren – »the generic basis of all mental experience«[32]. Von hier aus ist dann eine genetische Theorie des Geistes tatsächlich nichts anderes als eine Theorie der Entwicklung und Ausdifferenzierung des Fühlens. In einer aufschlussreichen Fußnote zitiert Langer William James’ Überlegung, welchen Begriff er wählen solle, um mentale Zustände und Vorgänge insgesamt zu beschreiben. James schwankt zwischen feeling und thought, entscheidet sich dann aber für letzteres;[33] aus den genannten Gründen trifft Langer die umgekehrte Wahl. Wenn Fühlen damit nicht nur der Ursprung mentaler Aktivität ist, sondern sie überdies in ihrer ganzen Bandbreite beschreiben soll, so gilt dies in einer bestimmten Hinsicht: Was Langer damit meint, ist die Erfahrung, wie es ist, etwas Bestimmtes zu fühlen, zu erfahren oder zu denken, und zwar vor allem im Hinblick auf seine zeitliche Artikulation.

Man könnte an Thomas Nagels berühmte Frage denken, wie es ist, eine Fledermaus zu sein, mit der er auf die Irreduzibilität von Bewusstsein hinweisen wollte.[34] Als Mensch – und nicht als Fledermaus – wahrzunehmen, zu fühlen und zu denken, soll nun für Langer nicht als globales Gesamtgefühl, sondern in seinen je konkreten Artikulationen angesehen werden. Diese Artikulationen sind immer konkret und spezifisch, je nachdem, was für eine Erfahrung wir machen, und Langers Punkt ist hier, dass sie als solche nicht unbedingt greifbar sind und dass sprachliche Benennung und Beschreibung hier nur sehr eingeschränkt weiterhilft. Feeling and Form ist der Versuch auszubuchstabieren, auf welche Weise und mit welchen Mitteln die einzelnen künstlerischen Disziplinen daran arbeiten, die Formen des Fühlens zu artikulieren und darzustellen. Um dies zu tun, muss sich die Philosophin in die Künste und ihre Diskurse einarbeiten, und auch wenn die Ausgangsthese sich auf »die Kunst« im Singular bezieht, ist das Buch wesentlich eine Philosophie der Künste.

Bei weitem den größten Raum nehmen dabei die unterschiedlichen Gattungen der Literatur ein, gefolgt von der Musik und, erstaunlicherweise, dem Tanz; die bildenden Künste, Bild und Skulptur, werden in zwei Kapiteln gemeinsam mit der Architektur eher kurz abgehandelt. Dabei ist die klare Einteilung, die ganz traditionellen Gattungsgrenzen folgt, eine ambivalente Angelegenheit: Auf der einen Seite verhindert sie allzu kühn verallgemeinernde Thesen über die Kunst als solche und verlangt nach einer detaillierten Auseinandersetzung mit dem Stand der Formen und Diskussionen in den jeweiligen Gattungen, auf der anderen bringt sie eine Tendenz zur Essentialisierung mit sich. Langer sucht für jede künstlerische Gattung ihre »primary illusion«, also die Dimension von Welt und Erfahrung, auf die sie ihre Formierungsleistung vor allem richtet. Festzuhalten, dass Bild, Skulptur und Architektur es mit »virtual space« zu tun haben, Musik als »sonorous image of passage« verstanden werden muss und Tanz »virtual powers« gestaltet, ist in seiner konkreten Ausgestaltung wirklich erhellend; schwierig wird es, wenn dies ins Normative kippt. Es gibt für Langer immer auch sekundäre Illusionen, aber diese sollten sekundär und die Künste bei ihrem jeweiligen Leisten bleiben; intermediale Phänomene und Entgrenzungen werden so schnell zu Verfallsformen, und die Idee eines Gesamtkunstwerks wird abwegig, oder auch: faktisch ist es doch eine Kunstgattung, die die Oberhand behält: »When words and music come together in song, music swallows words […].«[35] Glücklicherweise wird die Tendenz zum Konservatismus, die sich daraus ergibt, immer wieder von Langers genauer Aufmerksamkeit und intellektueller Redlichkeit konterkariert.

Der bereits zitierten These »no formulation without symbolic projection« zufolge, die Langer mit Cassirer verbindet, stellen die Künste bei all dem nicht Vorgegebenes dar, verdoppeln nicht Formen, die uns ohnehin vertraut sind, sondern erschließen sie und erlauben es damit, unser eigenes Erfahrungsleben schärfer zu artikulieren oder auch, noch stärker, überhaupt erst vor uns zu bringen: »All conscious experience is symbolically conceived experience; otherwise it passes ›unrealized‹.«[36] Wenn Fühlen das spezifische Wie unterschiedlicher Erfahrungen ausmacht, ist es nicht unplausibel zu sagen, dass es auch oder vielleicht sogar gerade bei Erfahrungen kaum »realisiert« ist, deren Was uns sehr klar vor Augen steht. Etwas zu denken, ein theoretisches Modell zu entwickeln, ein Argument nachzuvollziehen sind für Geisteswissenschaftler vertraute Erfahrungen, ohne dass sie aber notwendigerweise ein differenziertes Bewusstsein davon hätten, wie es ist, dies zu tun. Ein solches Bewusstsein lässt sich Langer zufolge nur über die Kunst erreichen, die damit immer »Formulierung und Darstellung«[37] des Fühlens zugleich ist.

Das Prinzip einer solchen Symbolisierung liegt in einer Ähnlichkeit, jener Isomorphie von Symbol und Symbolisiertem, die Langer voraussetzt. Wenn wir eine derartige Übereinstimmung von Formen voraussetzen, ergibt sich allerdings das Problem, wie hier eigentlich die Rollen verteilt sind: »But purely on the basis of formal analogy, there would be no telling which of two congruent structures was the symbol and which the meaning, since the relation of congruence, or formal likeness, is symmetrical, i.e. it works both ways.«[38] Ihre Antwort ist: Symbol ist das, was leichter aufzufassen, zu gestalten und zu handhaben ist, also die Kunst. Diese Auskunft steht offensichtlich in einer gewissen Spannung zu der These, dass die eine Seite der Symbolbeziehung durch die andere erst als solche formuliert – also differenziert, geschärft, verfügbar gemacht – wird, wodurch die Ähnlichkeit nicht einfach vorliegt, sondern in gewisser Weise durch die Symbolisierung hergestellt wird, was an Nelson Goodmans spätere Theorie der Exemplifikation erinnert.[39]

Man kann dem mit Cassirer begegnen: Wir sind immer schon damit beschäftigt, Ähnlichkeiten herzustellen, da dies unsere elementare Weise ist, uns in der Welt zu orientieren; sie zerfällt nicht zuerst in beziehungslose Einzelphänomene, die dann auf irgendeine Weise miteinander in Beziehung gebracht werden. Das heißt: »Jeder noch so ›elementare‹ sinnliche Gehalt […] ist niemals einfach, als isolierter und abgelöster Inhalt, ›da‹; sondern er weist in eben diesem Dasein über sich hinweg; er bildet eine konkrete Einheit von ›Präsenz‹ und ›Repräsentation‹.«[40] Durch diese Beziehungen ist das Einzelne überhaupt das, was es ist, nämlich artikuliert und wiedererkennbar. Mit Langer könnte man sagen, dass die Phänomene sich gegenseitig, sozusagen aneinander artikulieren und formulieren. Die Beziehung zwischen Kunst und Fühlen bleibt insofern eine besondere, als sich hier klar artikulierte, handhabbare Formen und nur schwach artikulierte, aber sehr vertraute Formen gegenüberstehen.

Noch einmal etwas anders akzentuiert kann man das Fühlen im Sinne eines allgemeinen Milieus mit Langer als den paradigmatischen Angelpunkt betrachten, über den Ähnlichkeit vermittelt ist. Wenn Malcolm Budd Langer zu kritisieren glaubt, indem er festhält, dass »feelings have no special forms which distinguish them from many other kinds of phenomena«[41], so benennt er genau dies: Die dynamischen, affektiv geladenen Verlaufsformen gewinnen diese anderen Phänomene über die Ähnlichkeit mit Formen des Fühlens. Ein Sturm und ein Vulkanausbruch (Budds Beispiele) sind einander ähnlich, weil sie in ihrer Erfahrung analoge Formen des Fühlens verkörpern, und es ist vielleicht nicht abwegig anzunehmen, dass wir auch solche Phänomene wie quasi-Darstellungen behandeln und auch über sie an der Artikulation unseres Fühlens arbeiten. Langer zufolge sind es aber erst Erfahrungen mit Kunst, die uns auf diese Übertragungen bringen: »Art is the objectification of feeling, and the subjectification of nature.«[42]

In diesem Sinne spielt die Kunst in Mind eine sehr ungewöhnliche Rolle, indem sie nämlich als Ausgangspunkt einer Theorie der lebendigen Form ernstgenommen wird, als unser wichtigstes Instrument, uns über diese Formen klar zu werden und sie vor uns zu bringen. Robert Innis hat dieses letzte Buch Langers, als dreibändiges Großprojekt angelegt, über fast zwei Jahrzehnte bearbeitet und schließlich unvollendet geblieben, als »a kind of philosophical tour de force, a complex web of semiotic, phenomenological, psychological, metaphysical, and meta-philosophical reflections«[43] beschrieben. Seinen Inhalt hier auch nur zu skizzieren, würde diese Einleitung bei weitem sprengen; stattdessen soll es als Ausgangspunkt genommen werden, um abschließend einen kurzen Blick auf das Verhältnis Langers zur Phänomenologie zu werfen. Lachmann bemerkt, sie habe »die Entwicklung der Phänomenologie aus einer kritischen Distanz beobachtet«[44]; sieht man sich die Zahl der expliziten Verweise auf die Phänomenologie und auf klassische Autoren an, so erscheint das eher untertrieben: Sie hat sie fast vollständig ignoriert. Ungeachtet dessen gibt es an vielen Stellen eine inhaltliche Nähe, die durch ihre durchgängige Abwehr einer Betonung der Erfahrung und ihre Insistenz auf Symbolisierung und Objektivierung verdeckt wird. Die detaillierte Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Künsten in ihrer Logik kann an vielen Stellen als phänomenologisch gelten, wenn man etwa die Ästhetiken von Ingarden und Dufrenne danebenhält.[45] Die beiläufige Rede vom Kunstwerk als »phenomenology of feeling«[46] ist da eher ein Oberflächenphänomen.

Insgesamt könnte man sagen, dass Langers Werk mehr und mehr zu einer Art Parallelunternehmen zu vielem geworden ist, was Maurice Merleau-Ponty in seinen mittleren Jahren unternommen hat: die Auseinandersetzung mit Psychologie und Biologie und die wichtige Rolle, die der Kunst bei der Formulierung der Philosophie zugedacht ist, sind zwei markante Beispiele. Überdies gibt es zahlreiche gemeinsame Bezugsautoren aus der Gestalttheorie und der philosophisch informierten Biologie – ganz abgesehen von Cassirer, der für beide eine zentrale Bedeutung hat. Die vielleicht wichtigste Parallele aber besteht darin, wie mit diesen Autoren und den Wissenschaften insgesamt umgegangen wird: Sie sind weder unbefragte Ausgangspunkte oder Materiallieferanten einer allgemeineren Theorie noch Positionen, die von einer höheren Warte aus kritisiert werden können, sondern Gesprächspartner, deren Ergebnisse ernstgenommen werden, gleichzeitig aber im Hinblick auf ihre Methodologie und ihre Ontologie befragt werden müssen, um auf diese Weise zu einer reflektierten Philosophie des Lebendigen und des Menschen zu kommen. Dass Merleau-Ponty nicht ein einziges Mal erwähnt wird, ist angesichts dessen einigermaßen erstaunlich – was aber nichts daran ändert, dass eine Rezeption von Langers Philosophie auch und gerade in phänomenologischen Kontexten sehr produktiv sein könnte.

4.

Robert Innis schlägt mit seinem Aufsatz eine Brücke zum letzten Heft, das Charles Sanders Peirce gewidmet war. In seiner Gegenüberstellung der Zeichentheorien von Peirce und Langer macht er wichtige Gemeinsamkeiten in der basalen Funktion von Zeichen für unsere Auseinandersetzung mit der Welt und dem funktionalen Zeichenbegriff aus, hält aber fest, dass Langers Aufteilung der semiotischen Sphäre schlanker und weniger technisch und damit flexibler ist als die von Peirce. Innis betrachtet die beiden Zeichentheorien als komplementär, wobei Langers Stärke in ihrer doppelten Strategie liegt, die Kunst als Erkenntnisinstrument zu mobilisieren, um über sie einen Zugang zu den biologischen Grundlagen des Zeichenprozesses zu bekommen.

Rolf Lachmann setzt hier an und expliziert die Langerschen Kategorien mit ihren eigenen Texten und der Symboltheorie Nelson Goodmans. Ausgehend von der grundlegenden Rolle präsentativer Symbole für die Artikulation unseres Selbstverständnisses wendet er sich einem Bereich zu, der Langer eher fremd ist, nämlich der Fotografie, genauer der Kriegsfotografie. Mit Susan Sontag weist Lachmann auf die emotionale und moralische Seite dieses Typs Bild hin, die nicht in ihrer unmittelbaren Gestalt und Wirkung aufgeht. Es zeigt sich ein Spiel von Nähe, Betroffenheit, Distanz und Reflexion, das zu demjenigen in Beziehung gesetzt werden kann, das Langer und Goodman exponieren, dieses aber auf produktive Weise herausfordert und erweitert.

Dirk Westerkamp setzt an Langers Begriff der Abstraktion an, der für sie zentral für jegliche Form von Symbolisierung ist, und nimmt ihn auf andere Weise ernst, nämlich indem er ihn mit der abstrakten Kunst konfrontiert. Auch wenn die bildende Kunst bei Langer nicht sonderlich prominent behandelt wird, sieht Westerkamp gerade hier eine besonders treffende Anwendung ihrer Symboltheorie. In der Auseinandersetzung mit Malewitsch, Mondrian, Pollock, Rothko und Stella weist er exemplarische Artikulationen dessen auf, was Langer »virtuellen Raum« genannt hat.

Katrin Eggers wendet sich Langers Referenzkunst, der Musik, zu. Der Versuch, das Motiv der Geste für die Musik nutzbar zu machen, findet bei Langer Material und Anhaltspunkte, kommt aber in Konflikt mit der strikten Trennung der Künste nach ihren »primary illusions«, wonach Gestisches dem Tanz zugeordnet werden und klar von der Musik differenziert werden muss. Indem Eggers Langer in eine Konstellation mit Adornos Gestenbegriff als klar zeitlichem und Plessners als leiblich-räumlichem bringt, zeigt sie, wie sich auch mit ihren Kategorien Zwischenphänomene wie das des Gestischen produktiv artikulieren lassen und wo sie erweitert und transformiert werden müssen.

Dirk Rustemeyer schließlich unternimmt den Versuch einer Explikation dessen, was Freiheit für das Symbolwesen Mensch heißen kann, indem er sich exemplarisch einer Erzählung von Arthur Miller zuwendet und sie mit Langers Philosophie aufschließt. Freiheit wird hier nicht verstanden als Eigenschaft oder Vermögen, sondern als Ergebnis der Notwendigkeit, sich und sein eigenes Selbstverständnis in unterschiedlichen Formen symbolisch zu artikulieren. Entscheidend ist dabei das Spiel von Festlegung und der Möglichkeit von Transformation und das Ineinandergreifen von Fühlen, Symbolisierung und Reflexion, das sich mit Langer beschreiben und in der Kunst exemplifizieren lässt.

Endnoten

[1] Rolf Lachmann, Susanne K. Langer. Die lebendige Form menschlichen Fühlens und Verstehens, München: Fink 2000; Susanne Kösters, Gefühl, Abstraktion, symbolische Transformation. Zu Susanne Langers Philosophie des Lebendigen, Frankfurt/M.: Peter Lang 1992.

[2] Vgl. Malcolm Budd, Music and the Emotions. The Philosophical Theories, London und New York: Routledge 1992, Kap. VI; Stephen Davies: Musical Meaning and Expression, Ithaca u. London: Cornell University Press 1994, S. 123 ff.; für den deutschen Sprachraum Peter Rinderle, Die Expressivität von Musik, Paderborn: Mentis 2010, S. 77 ff.

[3] Vgl. dazu Christian Grüny, »System und Tonart. Zur Rolle der Kunst bei Ernst Cassirer und Susanne K. Langer«, in: Journal Phänomenologie 42 (2015), S. 65-77.

[4] Lachmann, Susanne K. Langer, a. a. O., S. 15 ff. Innis ist hier zurückhaltender und betont eher die Kontinuität (vgl. Robert E. Innis, Susanne Langer in Focus: The Symbolic Mind, Bloomington: Indiana University Press 2009).

[5] Susanne K. Langer, Feeling and Form. A Theory of Art Developed from Philosophy in a New Key, New York: Scribner 1953, S. vii.

[6] Susanne K. Langer, The Practice of Philosophy, New York: Henry Holt \& Co. 1930 , S. 83 (im Original kursiv).

[7] A. a. O., S. 87.

[8] Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, London und New York: Routledge 1974, 2.1 ff.

[9] Langer, Feeling and Form, a. a. O., S. 27.

[10] Langer, The Practice of Philosophy, a. a. O., S. 135; vgl. ebenso Susanne K. Langer, Philosophie auf neuem Wege. Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst, Frankfurt/M.: S. Fischer 1984, S. 97.

[11] A. a. O., S. 153.

[12] Langer, Philosophie auf neuem Wege, a. a. O., S. 216f.

[13] Auch sie findet sich in The Practice of Philosophy vorgebildet, wo zwischen »diskursiven« und »intensiven« Symbolismen unterschieden wird (a. a. O., S. 164); auch der Begriff des Präsentativen taucht an einer Stelle auf (S. 161).

[14] Langer, Philosophie auf neuem Wege, a.a.O., S. 102. Dabei muss man sehen, dass es sich um prinzipielle Unterscheidungen von Symboltypen handelt, die in keiner symbolischen Form rein vorliegen – der konkrete Sprechakt hat immer auch präsentative Züge.

[15] A. a. O., S. 236.

[16] Susanne K. Langer, »The Art Symbol and the Symbol in Art«, in: dies., Problems of Art, New York: Scribner 1957, S. 124-139, hier 127, 129.

[17] Susanne K. Langer, »On a New Definition of ›Symbol‹«, in: dies., Philosophical Sketches, Baltimore: Johns Hopkins University Press 1962, S. 54-65, hier 64.

[18] Susanne K. Langer, Mind. An Essay on Human Feeling, Bd. 1, Baltimore: Johns Hopkins University Press 1967, S. 81.

[19] Insgesamt hat sie aufgrund ihrer Mehrsprachigkeit durchgängig zahlreiche deutsche und französische Autoren rezipiert, was für einen amerikanischen Philosophen alles andere als selbstverständlich ist, und sie schließlich in eigener Übersetzung der amerikanischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht: Vgl. Susanne K. Langer (Hg.), Reflections on Art. A Source Book of Writings by Artists, Critics, and Philosophers, Baltimore: Johns Hopkins University Press 1958.

[20] Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Dritter Teil: Phänomenologie der Erkenntnis (ECW 13), Hamburg: Meiner 2002, S. 231.

[21] Langer, Philosophie auf neuem Wege, a. a. O., S. 95, 97.

[22] Langer, Mind, Bd. 1, a. a. O., S. 153 ff.

[23] Langer, Feeling and Form, a. a. O., S. 377. Die Formulierung findet sich in einer Auseinandersetzung mit Croce.

[24] Langer, Feeling and Form, a. a. O., S. 40.

[25] Langer, Mind, Bd. 1, a. a. O., S. 20.

[26] Langer, Philosophie auf neuem Wege, a. a. O., S. 106.

[27] Man denke etwa Luc Ciompis Versuch, eine »Affektlogik« zu beschreiben (Affektlogik. Über die Struktur der Psyche und ihre Entwicklung. Ein Beitrag zur Schizophrenieforschung, Stuttgart: Klett-Cotta 1982).

[28] Vgl. etwa Jan Slaby, Achim Stephan u. Henrik Walter (Hg.), Affektive Intentionalität. Beiträge zur welterschließenden Funktion menschlicher Gefühle, Mainz: Mentis 2011.

[29] Daniel N. Stern, Die Lebenswelt des Säuglings, Stuttgart: Klett-Cotta 1992, S. 82 ff.

[30] Langer, Philosophie auf neuem Wege, a. a. O., S. 106, 234.

[31] Langer, Mind, Bd. 1, a. a. O., S. 21.

[32] Susanne K. Langer, »The Process of Feeling«, in: dies., Philosophical Sketches, Baltimore 1962 (Johns Hopkins University Press), S. 1-25, hier 11.

[33] Langer, Mind, Bd. 1, a. a. O., S. 21, Fn. 36. Sie zitiert aus den Principles of Psychology.

[34] Thomas Nagel, »Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?«, in: Peter Bieri (Hg.), Analytische Philosophie des Geistes, Königstein: Athenäum Hein Hanstein 1993, S. 261-275.

[35] Langer, Feeling and Form, a. a. O., S. 152.

[36] Langer, Mind, Bd. 1, a. a. O., S. 100.

[37] Langer, Philosophie auf neuem Wege, a. a. O., S. 219.

[38] Langer, Feeling and Form, a. a. O., S. 27.

[39] Goodman schuldet Langer offensichtlich mehr, als er zuzugeben bereit ist. Sein Konzept der metaphorischen Exemplifikation kann als Reformulierung von Langers präsentativem Symboltyp gelten, wenn man die Weiterentwicklung in Feeling and Form dazunimmt. Die Bestimmungen der semantischen und syntaktischen Dichte sind dabei hilfreiche Präzisierungen von Langers bisweilen etwas schwankenden Bestimmungen (vgl. Nelson Goodman, Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1997).

[40] Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Dritter Teil, a. a. O., S. 143; ganz ähnlich Langer, wenn sie von »gedeutete[r] Form, eine[r] Form, die gleichzeitig ein erlebtes Einzelding und ein Symbol für dessen Begriff, für diese Art von Ding ist«, spricht (Philosophie auf neuem Wege, a. a. O., S. 95).

[41] Budd, Music and the Emotions, a. a. O., S. 114.

[42] Langer, Mind, Bd. 1, a. a. O., S. 87.

[43] Innis, Susanne Langer in Focus, a. a. O., S. 148. Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit Mind vgl. a. a. O., Kap. 6-8 und vor allem Lachmann, Susanne K. Langer, a. a. O., Kap. 7-12.

[44] Lachmann, Susanne K. Langer, a. a. O., S. 137, Fn. 32.

[45] Vgl. Roman Ingarden, Untersuchungen zur Ontologie des Kunstwerks. Musikwerk – Bild – Architektur – Film, Tübingen: Max Niemeyer 1962; Mikel Dufrenne, Phénoménologie de l’expérience esthétique, Paris: Presses Universitaires de France 21967.

[46] Langer, Feeling and Form, a. a. O., S. 57.